Eine Negativkampagne kommt selten allein - die Anti-Grünen-Kampagne der INSM

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Die bundesweite Negativkampagne „Grüner Mist" sorgte zuletzt für öffentliches Aufsehen. Unter drastischen Schlagworten wie „Wohlstandsvernichtung“, „Genderirrsinn” oder „Klimahysterie" wurde Bündnis 90/ Die Grünen sowohl online als auch offline diffamiert. Die erste Hetzkampagne gegen die Partei ist #GrünerMist allerdings nicht: Bereits im Juni hatte die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) Anzeigen in namenhaften Medien geschaltet, die sich explizit gegen die Kanzlerkandidatin der Partei richteten. Zeitgleich war die Lobby-Organisation auch in den Sozialen Medien aktiv. Wie sich die Anzeigen bei Facebook ausbreiteten und wie sie bei Twitter ankamen – eine Einordnung.

Von Jessica Haak (@haak_jes), NRW School of Governance

Wer, wie, was?

Wer am 11. Juni durch die Printausgaben der FAZ, des Tagesspiegels oder auch der Süddeutschen Zeitung blätterte, konnte die großflächige Farbanzeige kaum übersehen: Annalena Baerbock in grünem Gewand, dargestellt als Moses-Figur. Der Grünen-Vorsitzenden und Kanzlerkandidatin wurden in dieser Fotomontage zwei Steintafeln in die Hände gelegt, darauf gemeißelt die angeblichen Forderungen der Grünen („zehn Verbote“)1. Darunter: „Du darfst kein Verbrenner-Auto fahren” oder „Du darfst nicht fliegen“2. Versehen war das Bild je nach Anzeigen-Version mit Slogans wie „Wir brauchen keine Staatsreligion” oder „Warum uns grüne Verbote nicht ins Gelobte Land führen".

Geschaltet wurden die Anzeigen von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Die Lobby-Organisation hat laut eigenen Angaben das Ziel, das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft nach Ludwig Erhard „an die Gegenwart anzupassen“. Dabei sollen unter anderem „Prinzipien wie unternehmerische Freiheit” oder die „Souveränität der Konsumenten" weiterhin „ihre positiven Wirkungen entfalten können". Finanziert wird die INSM nach eigenen Angaben jährlich mit mehreren Millionen Euro von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektro-Industrie.

Facebook und Instagram Ads

Die Anzeigen kursierten jedoch nicht nur offline: Neben den Webseiten deutscher Tageszeitungen, waren sie vor allem auf den eigenen Social-Media-Kanälen der INSM zu sehen. Allein auf Instagram und Facebook wurden binnen zweier Tage 50 Anzeigen geschaltet, die Annalena Baerbock mitsamt der „Verbots-Tafeln" zeigten3. Überschrieben waren die Anzeigen dabei immer mit demselben Werbetext.

Gesehen wurden sie von etwa 112.000 bis 128.000 Personen (Ø 2.240-2.560)4. Die INSM finanzierte dabei die Anzeigen selbst, wendete dafür aber recht geringe Ausgaben von maximal 789 Euro auf. Die Zielgruppen der Anzeigen lassen sich nicht eindeutig benennen: Frauen und Männer unterschiedlichen Alters sahen sie gleichermaßen. Zumindest bei Instagram lag der Fokus allerdings auf den jüngeren Altergsgruppen (18-24, 25-34). Angezeigt wurden die Ads in nahezu allen Regionen Deutschlands – Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg stellten jedoch die Schwerpunkte dar. Nutzer:innen aus Ostdeutschland wurden Beiträge hingegen seltener angezeigt.

Werden im Vergleich dazu die restlichen Anzeigen der INSM in einem Zeitraum vom 01.06.2021 bis zum 31.08.2021 betrachtet, ist auffällig, dass für die Anti-Grünen-Kampagne wenig Budget ausgegeben wurde. Gleichzeitig gibt es Anzeigen, die von deutlich mehr Nutzer:innen gesehen wurden. Besonders reichweitenstark waren hierbei jene Beiträge, die das Lieferkettengesetz thematisierten („Mehr schlecht als Menschenrecht") und die Forderung an den Bundestag richteten, es in dieser Form nicht zu beschließen. Ein Beitrag vom 10.06.2021, der ein Bild von jenen Zeitungen zeigt, die die Anzeige gegen das Lieferkettengesetz abgedruckt hatten, erreichte dabei über eine Million Nutzer:innen. Allerdings sei angemerkt, dass die Anzeigen gegen Baerbock maximal zwei Tage lang sichtbar waren, während die Anzeige zum Lieferkettengesetz vom 09.06 bis zum 22.07.2021 aktiv war.

Reaktionen bei Twitter

Auf Twitter stieß die Anzeigenkampagne vor allem auf negative Resonanz. Unter einem Tweet der INSM kritisierten Nutzer:innen die Kampagne als „niveau- und verantwortungslos“, „peinlich” und „widerlich“. Einige richteten ihre Kritik dabei auch explizit an die Medienhäuser, die die Anzeige veröffentlicht haben: „Nehmt ihr mittlerweile eigentlich jeden populistischen Dreck an?”, fragte ein Nutzer. Der Vorwurf, der jedoch augenfällig am häufigsten geäußert wird: Die Moses-Analogie sei antisemitisch. Der baden-württembergische Antisemitismusbeauftrage Michael Blume mahnte in einem Tweet, “im Wahlkampf antisemitische Verschwörungsmythen wie den sog. Kulturmarxismus & GreatReset zu bedienen”. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, Charlotte Knobloch, twitterte, dass sich die Initiative „völlig im Ton vergriffen" habe und „gut beraten [sei], das Thema Religion, von dem sie offensichtlich nichts versteht, anderen zu überlassen."

Die INSM widersprach den Vorwürfen: Die Anzeige drohe „falsch verstanden zu werden“. Es gehe eigentlich um „Freiheit und Verantwortung, die Kernthemen der Sozialen Marktwirtschaft”.

Fazit

Die Negativkampagne der INSM war in diesem Bundestagswahlkampf eine der ersten ihrer Art: Gezielt und systematisch schaltete die Lobby-Organisation offline und online Anzeigen gegen die Kanzlerkandidatin und Parteivorsitzende Annalena Baerbock. Diese rahmten das angebliche Programm der Grünen mit einem Verbotsnarrativ. Ob die Negativkampagne der Partei tatsächlich schadete oder möglicherweise sogar half, bleibt unklar. In den sozialen Medien konnte die Anzeigenkampagne zwar Aufmerksamkeit generieren. Diese fiel im Vergleich zu anderen Kampagnen der Organisation (z.B. zum Lieferkettengesetz) deutlich geringer aus und war vor allem negativ. Auf Twitter wurde insbesondere die Moses-Analogie scharf kritisiert.


  1. Die zehn Verbote wurden nach Angaben der INSM aus dem Parteiprogramm der Grünen abgeleitet.↩︎

  2. Die dpa hat vier angebliche Verbote einem Faktencheck unterzogen und festgestellt, dass diese ungenau bis falsch seien. https://www.tagesschau.de/faktenfinder/insm-wahlkampf-gruene-101.html↩︎

  3. Sämtliche Werbeanzeigen der Seite, Ausgaben und Informationen darüber, wem die Anzeigen gezeigt worden sind, sind transparent über die Werbebibliothek einsehbar (https://www.facebook.com/ads/library).↩︎

  4. Die Werbebibliothek gibt Impressionen in Spannweiten an. Impressionen sind eine Kennzahl dafür, wie oft die Werbeanzeige auf dem Bildschirm der Betrachter:innen zu sehen waren. Für die Grafik wurde das Mittel aus der Differenz beider Zahlen ermittelt und auf die kleinere Zahl addiert. Eine Anzeige, die z.B. zwischen 35.000 und 50.000 Impressionen erreicht hat, wird obenstehend mit 47.500 angegeben. Eine Anzeige, die zwischen 7.000-8.000 erreicht hat, wird mit 7.500 Impressionen angegeben.↩︎