Ist das noch Wahlkampf, oder muss das weg? - Negativkampagnen gegen die Grünen im Vergleich

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Erst Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock als Moses-Figur, dann großflächige Plakate mit welken Sonnenblumen und Überzeichnungen wie “Ökoterror” oder “heimatfeindlich”, schließlich der Aufruf, die Partei zu “hängen”. Der Wahlkampf gegen Bündnis 90/Die Grünen scheint sich immer weiter ins Negative zu steigern. Gezielt verbreiten private und politische Akteur*innen Falschbehauptungen über die Partei, diffamieren Personen und hetzen offline wie auch online. Summieren lassen sich diese Angriffe unter dem Begriff des “Negative Campaigning”. Dieser Beitrag vergleicht die Anti-Grünen-Kampagnen “Grüner Mist”, von der INSM und von der Partei Der III. Weg.

Von Jessica Haak (@haak_jes), NRW School of Governance

Was ist Negative Campaigning?

Im Negative Campaigning werden tatsächliche oder angebliche Schwächen des politischen Gegners herausgestellt, um die eigene Seite positiv wirken zu lassen.1 Ziele dieses “Angriffswahlkampf” können konkurrierende Parteien oder Kandidat:innen und ihre Ziele sein.2 Negativkampagnen sind häufig stark personenbezogen, indem einzelne Kandidat:innen mit Gerüchten oder Verleumdung diffamiert werden – etwa Barack Obama in 2008.3 Ursprünglich ein Charakteristikum des modernen US-amerikanischen Wahlkampfs werden Negativkampagnen zunehmend auch in Deutschland eingesetzt. In der Vergangenheit kamen sie allerdings vorwiegend schlecht an und wirkten meist negativ auf ihre Initiator:innen zurück (“Backlash-Effekt”).4

Im laufenden Bundestagswahlkampf bleibt keine der drei aussichtsreichsten Parteien von Negativkampagnen verschont: Anfang August hängte die Umweltorganisation Extinction Rebellion vermeintliche Wahlplakate der CDU auf und schrieb der Partei zu, sie ruiniere das Klima.5 Die SPD wurde nach dem ersten TV-Triell Ziel der CDU-Negativkampagne “Olaf sagt nichts”.6Augenscheinlich die meiste öffentliche Aufmerksamkeit erreichten allerdings die Kampagnen gegen die Grünen.

INSM und #GrünerMist – Äpfel und Birnen?

Bei den Negativ-Kampagnen der INSM und #GrünerMist läuft man schnell Gefahr, Äpfel und Birnen miteinander zu vergleichen (zur Analyse von #GrünerMist, zur Analyse der INSM-Kampagne). Auf den ersten Blick haben die beiden Kampagnen einiges gemeinsam: Beide sind sowohl offline als auch online aktiv. Offline über Plakate oder Anzeigen in überregionalen Medien, online über Soziale Medien und die eigenen Webseiten. Zudem richten sich beide Kampagnen gegen Bündnis90 / die Grünen.

Allerdings fokussiert #GrünerMist auf die Partei und ihr Programm7: In YouTube-Videos erläutern AfD-nahe Personen die angeblichen Gefahren einer grünen Regierungsverantwortung. Auf den Kampagnen-Plakaten im Stil der Partei prangen Schlagworte wie “Industrievernichtung”, “Masseneinwanderung” und “Enteignungsterror”.

Die INSM hingegen zielt mit ihren stark personalisierten Anzeigen direkt auf die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Betrachtet man die weiteren Social-Media-Aktivitäten der Organisation, so stehen nicht nur die Grünen im Fokus ihrer Kritik. Auch die SPD und ihr Kanzlerkandidat Olaf Scholz werden massiv kritisiert: “Steigende Rentenbeiträge” sind ebenso Thema wie die Abschaffung des Solis. Zudem fordern sie, eine Koalition mit der Linken auszuschließen und sich auf diese Weise “zur Sozialen Marktwirtschaft zu bekennen”.

Damit wird deutlich: INSM und #GrünerMist machen zwar Beide Stimmung gegen die Grünen. Während sich #GrünerMist allerdings primär auf die Partei beschränkt und zum Zwecke der Schmäh-Kampagne selbst überhaupt erst durch die “Conservare Communication GmbH” initiiert wurde, ist die INSM als Lobbyorganisation bereits seit 2000 tätig. Ihre Kritik an den Grünen, aber auch der SPD und der Linken ist nach eigenen Aussagen an das Ziel der sozialen Marktwirtschaft geknüpft. Nicht zuletzt deswegen wirbt die INSM jüngst auch mit Anzeigen und einem Plakat mit Aufschrift “Gute Wahl. Soziale Marktwirtschaft.”

Ist das noch Wahlkampf? – “Der dritte Weg”

Auch bei den Plakaten der rechtsextremen Partei “Der III. Weg” handelt es sich per Definition um eine Negativkampagne gegen die Grünen. Mit #GrünerMist und der INSM-Kampagne lässt sie sich allerdings kaum vergleichen. Sie findet maßgeblich offline statt, kommt ohne Personalisierung aus und beschränkt sich auf wenige Städte. Viel wichtiger aber: Sie ist Gegenstand strafrechtlicher Auseinandersetzung und verstößt nicht nur gegen subjektiven politischen Geschmack. Auf den Plakaten der Kleinstpartei ist in Großbuchstaben “Hängt die Grünen” zu lesen. Für die Stadt Zwickau verstößt dieser Aufruf gegen die “öffentliche Ordnung und gegen den Anstand und die Würde des Menschen”.8 Sie hat deshalb die Entfernung der Plakate angeordnet. Das Verwaltungsgerichts Chemnitz aber gab einem Eilantrag des Dritten Wegs statt: Die Plakate dürfen vorerst hängen bleiben – mit 100 Metern Abstand zu den Plakaten der Grünen. Aus einer Pressemitteilung geht hervor, dass es “ausgehend von den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen für Wahlwerbung – derzeit offen sei, ob die strengen Voraussetzungen für einen solchen Eingriff in das Grundrecht auf Meinungsfreiheit vorliegen”.9

Sowohl die Stadt Zwickau als auch die Grünen selbst kündigten an, gerichtlich gegen den Beschluss vorzugehen. Im Wahlkampf ist es das erste Mal, dass sich die Partei auch gerichtlich gegen eine Schmähkampagne zur Wehr setzt.

Unter dem Beitrag häufen sich Solidaritätsbekundungen von Nutzer:innen: “Jeder Kampf gegen rechts ist ein wichtiger”, schreibt ein Nutzer. Andere rufen dazu auf, den Grünen in Sachsen zu spenden, damit “mindestens alle #99m ein Plakat der Grünen in Sachsen zu sehen ist”. Gemeinsamen riefen der sächsische Landesverband und die umliegenden bündnisgrünen Kreisverbände zu einer Plakatieraktion auf. Selbsterklärtes Ziel sei es, durch eigene Plakate “die Umplatzierung der Plakate zu verhindern”.

Fazit

Die hier betrachteten Anti-Grünen-Kampagnen eint ihre Frontstellung gegen Bündnis90 / Die Grünen. Gemäß Definition sind sie alle Negativkampagnen. Sie stammen aber nicht nur von unterschiedlichen Akteur:innen (privates Unternehmen, Lobby-Organisation und Partei), sondern unterscheiden sich auch in ihrer Machart und wirken dabei unterschiedlich.

Inwieweit die Kampagnen Wähler:innen tatsächlich beeinflussen, ist nur schwer überprüfbar. Zumindest die INSM-Kampagne hat in den sozialen Medien mehrheitlich negative Reaktionen erzeugt (“Backlash-Effekt”). Die Plakate des III.Wegs führten augenscheinlich zu Solidaritätsbekundungen mit den Grünen. Gleichzeitig finden sich in den Kommentarspalten unter den YouTube-Videos von #GrünerMist vor allem lobende und zustimmende Worte für die Kampagne. In jedem Fall tragen alle Kampagnen massiv zu Desinformationen, Hetze und Verunsachlichung der Debatte in den Sozialen Medien bei. Dabei überschreiten sie fraglos auch Grenzen – die des guten politischen Geschmacks und des fairen Wahlkampfs, womöglich aber auch strafrechtliche Grenzen.


  1. Schoen, Harald (2014): Wahlkampfforschung. In: Jürgen W. Falter/Harald Schoen (Hrsg.): Handbuch Wahlforschung. 2. Aufl. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 661-728. (vor allem: 666-667)↩︎

  2. Schulz, Winfried (2011): Politische Kommunikation. Theoretische Ansätze und Ergebnisse empirischer Forschung. 3. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 243-244.↩︎

  3. Ebd.↩︎

  4. Holtz-Bacha, Christina (2001): Negative Campaining: In Deutschland negativ aufgenommen. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen 32 (3), S. 669-677. (vor allem: 673-677).↩︎

  5. https://correctiv.org/faktencheck/2021/08/04/dieses-cdu-wahlplakat-ist-satire/↩︎

  6. https://www.fr.de/politik/bundestagswahl-2021-tv-triell-spd-gruene-cdu-twittert-gegen-scholz-ton-wird-rauer-zr-90950835.html↩︎

  7. Der Vergleich stützt sich auf einen Beobachtungszeitraum bis Ende August/Anfang September 2021. Es sei angemerkt, dass sich jüngere Beiträge von #GrünerMist auch explizit gegen Olaf Scholz als “möglichen Steigbügelhalter der Grünen” und “Stasiroten” richten. Die Kampagne will dabei aufzeigen, was passiert, wenn es zu einem Regierungsbündnis von SPD, Grünen und Linke (“rot-grün-stasirot”) unter Scholz kommt. Einzusehen sind die Werbeanzeigen über die Facebook Werbebibliothek.↩︎

  8. https://www.zwickau.de/de/aktuelles/pressemitteilungen/2021/september/353.php↩︎

  9. https://www.justiz.sachsen.de/vgc/2021-4142.html↩︎