Hass im Netz: Wähler:innen von Linkspartei, SPD und Grünen am häufigsten betroffen
Aus einer aktuellen Befragung des Meinungsforschungsunternehmens Pollytix geht hervor, dass sich die Wahrnehmung von, aber auch die persönlichen Erfahrungen mit Hasskommentaren im Internet deutlich nach Parteianhängerschaft unterscheiden. Besonders häufig geben Anhänger:innen von Parteien aus dem linken Spektrum an, selbst Ziel von Hass in den Sozialen Medien gewesen zu sein. Die politischen Ansichten und das eigene Geschlecht sind über die Parteien hinweg die häufigsten Gründe für den erlebten Hass, der sich vor allem auf Facebook ereignet. Einige der Befragten sind durch den erlebten Hass vorsichtiger bei der Meinungsäußerung im Internet geworden.
Von Jessica Haak (@haak_jes)
Eine repräsentative Umfrage unter den wahlberechtigten Internetnutzer:innen in Deutschland zeigt, dass die Wahrnehmungen und persönlichen Erfahrungen mit Hass im Netz mit der Wahlabsicht variieren. Zwar teilt die Mehrheit der Befragten die Einschätzung, dass Hasskommentare im Internet ein großes Problem für die Gesellschaft darstellen. Die berichteten Erfahrungen unterscheiden sich aber teilweise deutlich nach Wahlabsicht.
Eine große Mehrheit aller Befragten sieht Hasskommentare als ein großes Problem für die Gesellschaft an. Allerdings zeigen sich in der Problemwahrnehmung deutliche Unterschiede zwischen den Anhänger:innen[1] der AfD und denen anderer Parteien. Unter den AfD-Anhänger:innen nehmen rund 62 % Hasskommentare als Problem wahr, bei den anderen Parteien sind es zwischen 85 % (FDP) und 93 % (SPD).
Auch hinsichtlich der Frage, ob sie selbst bereits Hass, Beleidigungen oder Bedrohungen in Sozialen Medien wahrgenommen haben, zeigen sich je nach Parteianhängerschaft Unterschiede zwischen den Befragten. Über die Hälfte der Anhänger:innen der Linken (55 %) und der Grünen (53 %) gibt an, häufig bis sehr häufig auf Hass im Netz gestoßen zu sein. Unter den Anhänger:innen der AfD sind es immerhin noch 43 %.
Offenkundige Unterschiede bestehen auch hinsichtlich der Erfahrungen mit verschiedenen Formen von Hass in Sozialen Medien. Grundsätzlich werden die Anhänger:innen aller Parteien mit Abstand am häufigsten mit Beleidigungen als Form von Hass in Sozialen Medien konfrontiert. Über die verschiedenen Formen von Online-Hass hinweg berichten die Anhänger der Linken am häufigsten, davon betroffen zu sein: 35 % von ihnen geben an, persönlich beleidigt worden zu sein, 14 % wurden sexuell belästigt. Mehr als ein Fünftel berichtet von der Verbreitung falscher Behauptungen über sie. Fast genauso häufig erleben aber auch Anhänger:innen der SPD und der Grünen die genannten Formen von Online-Hass. Anhänger:innen der Union berichten am seltensten von solchen Erfahrungen.
- Beleidigung
- Belästigung
- Datenklau
- Körperliche Bedrohung
- Sexuelle Belästigung
- Stalking
- Verbreitung Von Falschbehauptungen
Politische Ansichten und das Geschlecht werden von den Befragten, die selbst Opfer von Hass in den Sozialen Medien geworden sind, am häufigsten als Gründe wahrgenommen. Anhänger:innen der AfD geben besonders häufig an, aufgrund ihrer politischen Ansichten mit Anfeindungen konfrontiert zu werden (47 %). Die FDP-Anhänger:innen erleben nach eigenen Angaben am seltensten Online-Hass wegen ihrer politischen Ausrichtung (36 %). Geschlecht spielt vor allem für die Anhänger:innen von Parteien aus dem linken Spektrum eine Rolle: 40 % der SPD-Anhänger:innen, 38 % der Linkspartei-Anhänger:innen und 35% der Grünen geben an, aufgrund ihres Geschlechts Hass erfahren zu haben.
Die große Mehrheit aller Parteianhänger:innen erlebt Online-Hass auf Facebook. Besonders häufig benennen AfD-Anhänger:innen die Plattform (81 %), am seltensten Anhänger:innen der Union (67 %). Vergleichsweise immer noch häufig wird Instagram von den Befragten genannt: Abgesehen von Anhänger:innen der AfD hat jeweils mehr als ein Fünftel der Parteianhänger:innen Hass dort erlebt.
Die Befragung zeigt auch, dass Online-Hass unterschiedliche Folgen für das Verhalten der Befragten hat: Von den SPD-Anhänger:innen, die Hasskommentare in Sozialen Medien gesehen oder persönlich Ziel davon gewesen sind, geben 44 % an, nach den Erfahrungen vorsichtiger bei der Meinungsäußerung im Internet geworden zu sein. Von keiner Verhaltensänderung berichten zwischen 41 % (AfD, Linke, SPD) und 49 % (Grüne) der Anhänger:innen. Jetzt erst recht ihre Meinung äußern, will vor allem die Anhängerschaft der AfD (15 %) und der Linken (14 %). Im Gegensatz dazu berichten FDP-Anhänger:innen am häufigsten (14 %), ihre Meinung nur noch anonym kundgeben zu wollen.
Das psychische Wohlbefinden sehen die Anhänger:innen aller Parteien mehrheitlich durch die Nutzung Sozialer Medien negativ beeinflusst: Zwischen 49 % (FDP) und 58 % (Grüne) geben an, dass es nicht gut für ihr psychisches Wohlbefinden sei, viel Zeit in den Sozialen Medien zu verbringen.
Insgesamt nehmen die Anhänger:innen aller Parteien Hass im Netz als Problem wahr und sehen sich auch selbst davon betroffen. Das Ausmaß der Erfahrungen, die wahrgenommenen Gründe aber auch der daraus resultierende Einfluss auf die Meinungsäußerung unterscheiden sich jedoch deutlich nach Parteianhängerschaft. Vor allem Anhänger:innen der Parteien aus dem linken Spektrum berichten häufig von persönlichen Erfahrungen mit Hass und Beleidigungen in Sozialen Medien. Weiterhin machen die Zahlen deutlich, dass Diskussionen im Netz, die idealtypisch der Meinungsbildung und der Information der Nutzer:innen dienen könnten, stattdessen häufig von Hass und Hetze durchzogen sind. Ob dies der politischen Debatte langfristig schadet und welche Auswirkungen der erlebte Hass auf die Wahlentscheidung der Parteianhänger:innen schlussendlich hat, müssen allerdings weitere Untersuchungen zeigen.
Untersuchungsanlage
Grundgesamtheit:Wahlberechtige Internetnutzer in Deutschland
Erhebungsmethode:Computer-Assisted Web Interviewing (CAWI)
Erhebungszeitraum: 22. Bis 29. Juni 2021
Fallzahl:3009 Befragte[2]
Gewichtung:Nach soziodemographischen Merkmalen
Durchführendes Institut: Pollytix im Auftrag von Reset.Tech
Vorgehen:en Befragten wurden mehrere Fragen mit unterschiedlichen Antwortoptionen vorgelegt. Bei der Frage nach der Problemwahrnehmung wurden die Antwortoptionen „sehr großes Problem“ und „großes Problem“ sowie die Optionen „eher geringes Problem“ und „kein Problem“ obenstehend jeweils zu einer Kategorie zusammengefasst. Für die Frage nach der Häufigkeitswahrnehmung wurde die Kategorie „(sehr) häufig“ aus den Antwortoptionen „sehr häufig“ und „häufig“ gebildet sowie „selten“ und „noch nie“ zu einer Kategorie zusammengefasst. Hinsichtlich der Erfahrungen mit unterschiedlichen Formen von Hass in Sozialen Medien wurde die Antwortoption „ja, das ist mir in Sozialen Medien schon passiert“ berichtet. Das physische Wohlbefinden wurde über die Bewertung der Aussage „Es ist nicht gut für mein psychisches Wohlbefinden, viel Zeit in Sozialen Medien zu verbringen“ abgefragt. „Keine Zustimmung“ wurde durch die Antwortoptionen „stimme überhaupt nicht zu“ und „stimme eher nicht zu“ gemessen. Die Kategorie „unentschlossen“ bildet jene Befragte ab, die mit „teils/teils“ oder „weiß nicht“ geantwortet haben. Alle Ergebnisse sind auf ganze Prozentwerte gerundet, um falsche Erwartungen an die Präzision zu vermeiden.
Weitere Informationen: https://pollytix.eu/veranstaltung/umfrage-zu-hass-im-netz/
Jetzt auch hier: https://www.reset.tech/resources/social-media-in-germany-effects-on-the-culture-of-debate-disinformation-and-hate/
[1] Als Parteianhänger:innen werden nachfolgend jene Befragte verstanden, die für eine Bundestagswahl am kommenden Sonntag angegeben haben, die jeweilige Partei wählen zu wollen. Synonym kann von potentiellen Wähler:innen gesprochen werden.
[2] Maximale Fehlertoleranz für n=3.009 bei einem 95% Konfidenzintervall: +/- 1,8%
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