Die AfD und die Briefwahl: Zwischen Manipulationsbedenken und Mobilisierung
Die AfD und die Briefwahl: Zwischen Manipulationsbedenken und Mobilisierung
Durch die anhaltende Corona-Pandemie ist voraussichtlich der Anteil der Briefwahlstimmen in dem diesjährigen “Superwahljahr” besonders hoch.1 Die AfD greift auf Facebook das Thema Briefwahl immer wieder auf und schwankt dabei zwischen Manipulationsbedenken sowie Versuchen, die eigenen Anhänger für den Urnengang zu mobilisieren. Was ist also die überwiegend vertretene Meinung der Partei? Und wie kommuniziert die AfD diese an ihre Social Media-Followerschaft?
Von Johannes Schulze-Aissen, European New School of Digital Studies
Wenn man sich an die letztjährige US-amerikanische Präsidentschaftswahl und deren Ausgang erinnert, verfolgte Trump sowie ein großer Teil der republikanischen Partei die Taktik, im Voraus bereits grundsätzlich die Legitimität und Sicherheit der Briefwahl in Frage zu stellen, um so die Grundlage zu schaffen, das spätere Wahlergebnis anzuzweifeln. Die nachweislich falsche Behauptung der “gestohlenen Wahl” hallt noch bis heute nach und ist für ein Drittel der US-Amerikaner mittlerweile zu ihrer Wahrheit geworden.2 Nun scheint es, als würde auch die AfD mit ihrer Kampagne “Steck ihn selber rein!” einen ähnlichen Ansatz wie Trump verfolgen.
Wenn man sich nun aber die Anzahl der AfD-Facebook-Posts3 über die letzten 12 Monate anschaut, fällt auf, dass die Partei nicht erst seit kurzem das Thema für sich entdeckt hat. Bereits parallel zur letztjährigen US-Wahl am 3.11.2020 postete die Partei vermehrt zum Thema Briefwahl. Die nachfolgende Grafik zeigt im zeitlichen Verlauf alle 606 Posts, die das Suchwort “Briefwahl” beinhalten.
Die 606 Posts stammen von 311 verschiedenen AfD-Facebook-Accounts und haben insgesamt knapp 165.000 Interaktionen generiert. Wenn man nun über die gleiche Zeitspanne die Interaktionen4 mit den AfD-Posts zum Suchwort “Briefwahl” visualisiert, zeichnen sich vier eindeutige Höhepunkte also sogenannte Peaks ab.
Neben den steigenden Interaktionen parallel zur US-Wahl und dem Peak im Januar ist hier besonders auffällig, dass die Peaks im März, Juni und der im August begonnenen aktuelle Peak zeitnah zu den diesjährigen Landtagswahlen und der kommenden Bundestagswahl auftreten. Um die Frage zu beantworten, wie die AfD nun während dieser Zeit über die Briefwahl kommuniziert, werden im Folgenden die vier Peaks genauer untersucht. Zur Veranschaulichung des inhaltlichen Fokus’ und grundsätzlichen sprachlichen Tenors während der Peaks dienen Wortwolken5, die zeigen, welche Wörter6 am häufigsten in Verbindung mit dem Suchwort “Briefwahl” von der AfD in diesem Zeitraum verwendet wurden. Dabei gilt je größer das Wort, desto häufiger kommt es vor. Die Anordnung ist jedoch zufällig. Exemplarisch werden auch jeweils die Posts mit den meisten Interaktionen gezeigt, um zu illustrieren, was genau die AfD über die Briefwahl mitteilt und welcher sprachlichen Mittel sie sich dabei bedient.
Während des ersten Peaks im Januar steht die Kommunalwahl in Stendal 2014 im Vordergrund, bei der tatsächlich im Einzelfall eine Manipulation entdeckt wurde. Ein CDU-Politiker hatte zusammen mit weiteren Personen illegalerweise Briefwahlunterlagen für Dritte abgeholt und ausgefüllt. In der Konsequenz dazu wurden die Beteiligten verurteilt und die Kommunalwahlen wurden wiederholt.7
Neben dem Vorfall in Stendal wird im Weiteren auch die coronabedingte, zwischenzeitliche Prüfung von reinen Briefwahlen für die Landtage als Grundlage genutzt, um die Briefwahl bereits mit der erhöhten Möglichkeit des Betrugs und Gefährdung der Demokratie gleichzusetzen.
Parallel zu den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz und der Kommunalwahl in Hessen verläuft der zweite Peak thematisch sehr ähnlich zu dem vorigen und auch dieses Mal steht ein Verdacht auf Briefwahlbetrug im Fokus. Zu diesem Zeitpunkt verweist die AfD aber schon vermehrt auf ihre Warnungen zu den “Gefahren der Wahl-Manipulation durch das Briefwahl-Verfahren”. Der hier gezeigte Post hat mit über 8.000 Reaktionen und knapp 4.500 Shares die meisten Interaktionen in dieser Phase generiert.
Auffällig ist hier jedoch, dass der Post mit den zweitmeisten Interaktionen (1.600 Reaktionen und über 400 Shares), veröffentlicht von Markus Wagner (Fraktionsvorsitzender der AfD im Landtag NRW), einen Aufruf zur Briefwahl beinhaltet. Damit ist er der einzige Aufruf unter den 25 Facebook-Posts mit den meisten Interaktionen, der nicht etwa zur Teilnahme als Wahlbeobachter:in oder zum Gang zur Wahlurne rät sondern versucht auch durch Briefwahl die eigene Anhängerschaft für die Wahl zu mobilisieren.
Der darauffolgende Peak im Juni verläuft im Vorfeld und parallel zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Die vorher noch anekdotisch geprägten Warnungen vor den Gefahren der Briefwahl werden nun in dem AfD-Post mit den meisten Interaktionen dieser Zeitspanne prägnanter aufgezählt und ausgeführt.
Wenn man zurück zur zugehörigen Wortwolke geht, ist auch hier der Trend zu erkennen, die Geheimheit, Transparenz und Sicherheit der Briefwahl anzuzweifeln, gepaart mit dem Aufruf als Wahlbeobachter:in die Überprüfbarkeit zu gewährleisten und so Unregelmäßigkeiten zu verhindern. Stephan Brandner (Bundestagsabgeordenter der AfD) erhebt darüber hinaus auch im Parlament den Vorwurf der unsicheren Briefwahl: "Weil aus Ihrer Sicht Wahlen gesundheitsschädigend sind, doktern Sie auch seit einiger Zeit an dunklen Ideen und Plänen zur Briefwahl herum, um damit weitere Wahlgrundsätze wie die Geheimheit der Wahl, die Öffentlichkeit der Wahl, abzuschaffen und Wahlergebnisse in Ihrem Sinne beeinflussen zu können."8
Der aktuelle und anhalte Peak baut inhaltlich auf dem Narrativ der manipulierbaren Briefwahl auf, das über die letzten 12 Monate von der AfD kollektiv konstruiert wurde. Zusätzlich sind viele der populärsten Posts gepaart mit dem Aufruf, unbedingt persönlich ins Wahllokal zu gehen, da bei der Briefwahl keiner wissen könne, ob die Stimmen “wirklich in freier und geheimer Wahl abgegeben werden konnten”, und dies nicht mehr viel mit Demokratie zu tun habe.
Besonders auffällig ist hier im Vergleich zu den anderen Peaks also der Versuch die eigene Wählerschaft aktiv für den Gang zur Wahlurne zu mobilisieren. Der AfD-Wählerschaft wird von der Partei die Aufgabe gegeben, ihr demokratisches Recht in Anspruch zu nehmen und persönlich zu Wählen, da letztendlich nur durch den Gang zur Wahlurne Manipulationen verhindert werden könne.
Fazit
Die AfD verbreitet bei ihrer Anhängerschaft seit der vergangenen US-Wahl, und der damit einhergehenden hartnäckigen Falschbehauptung der “gestohlenen Wahl”, Unsicherheit rund um das Thema Briefwahl und stellt auch in Deutschland eine mögliche Manipulation als durchaus wahrscheinlich dar. Abzuwarten bleibt, inwiefern das Thema von der AfD auch noch nach den Wahlen diskutiert oder sogar für Manipulationsvorwürfe genutzt wird. Einer der Gründe, warum die AfD aber tatsächlich versucht die Briefwahl zu delegitimieren, dürfte die Erfahrung sein, dass die Partei vergleichsweise wenig Briefwähler:innen erreiche und damit ihr Ergebnis bei einer hohen Briefwahl-Quote schlechter ausfallen könne.9
https://www.monmouth.edu/polling-institute/reports/monmouthpoll_us_062121/↩︎
972 Facebook Accounts von AfD-Politiker:innen sowie Accounts auf Bundes-, Landes-, Kreis- und Ortsebene.↩︎
Interaktionen sind hier die Likes, Emoji-Reaktionen, Kommentare und Shares eines Posts.↩︎
Quelle Daten: Crowdtangle.com↩︎
Wörter, die zur besseren Illustrierung entfernt worden sind: die, und, der, sie, im, von, es, auch, doch, nun, für, bei, einen, den, eine, noch, sind, des, können, ich, das, auf, ist, wegen, bis, seit, vor, unsere, sich, beim, durch, zum, mit, werden.↩︎
https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/stendal/briefwahlaffaere-landgericht-verurteilt-ex-cdu-chef-kuehnel-zu-schadensersatz100.html↩︎
zitiert nach: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/afd-briefwahl-bundestagswahl-100.html↩︎
https://www.rnd.de/politik/afd-will-briefwaehler-verunsichern-steck-ihn-selber-rein-NLFCWB4CC5GL7HVQJBNUE3UORU.html↩︎
- Aufrufe: 2726