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Von den sinkenden Umfragewerten getrieben? Der Wandel der Wahlwerbestrategie der Union auf den sozialen Medien

(Reading time: 4 - 7 minutes)

Nach dem Abstieg der Union in den Wahlumfragen schaltet sie zunehmend auf Angriff. Anfang August forderte sie noch einen fairen Wahlkampf ein. Kurz vor der Wahl fährt sie wieder einmal eine Rote-Socken-Kampagne gegen eine rot-grün-rote Koalition. Sogar eine Wahl der FDP unterstütze einen Linksrutsch. Chronik eines Absturzes und der panischen Angriffe einer Volkspartei.

Von Daniel Ruttloff, NRW School of Governance

Armin Laschet ist unter Druck geraten. Im Juli standen die Umfragewerte noch bei etwa 30 Prozent Wahlabsicht für CDU und CSU und die Zeichen auf einen bequemen “Schlafwagen-Wahlkampf”.1 Die derzeitigen Umfragen sehen die Union bei etwa 20 Prozent. Entsprechend hat die Union ihren Wahlkampf angepasst: Der Ton wird aggressiver, der politische Gegner mit Vorwürfen angegangen und zunehmend eine “Rote-Socken-Kampagne” gegen ein mögliches rot-grün-rotes Bündnis gefahren.2

Anfang August: Matroschka-Spot

(CDU/CSU: 23%-26%, SPD: 17%-19%)

Anfang August wird die CDU vom Wahlkampf-Auftakt der SPD erschüttert. Ihr Video zeigt Armin Laschet als Matroschka-Puppe, in der Friedrich Merz, Hans-Georg Maaßen, Andreas Scheuer, Jens Spahn und der Laschet-Vertraute Nathanael Liminski zum Vorschein kommen – und am Schluss ein “inhaltsleeres” Programm.3

Die vehemente Forderung der CDU, den Spot zurückzuziehen, befeuert noch dessen virale Verbreitung in den Sozialen Medien. Inzwischen haben mindestens 190.000 Menschen den Spot auf Youtube gesehen. Dazu kommen die Nennungen in Zeitungen und Nachrichtenportalen, sowie die Einbettung bei Twitter. Neben einiger Kritik bekommt der Spot viele positive Bewertungen.

August/September: Rote Socken

(CDU/CSU: 20%-22% SPD: 22%-25%)

Seit dem ersten Triell fährt die Union erneut eine “Rote-Socken-Kampagne”. Olaf Scholz schloss in der Debatte eine Koalition mit der Linken nicht aus. Stattdessen nannte er hohe Hürden; etwa ein Bekenntnis zur Nato und Europa und eine solide Wirtschaftspolitik.

Die Forderung nach einem fairen Wahlkampf ist einen Monat später anscheinend vergessen. Vor allem CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak greift Scholz und die SPD wiederholt wegen der aus Sicht der Union mangelnden Abgrenzung zur Linken an, beschwört gar den “finanzpolitischen Untergang” der EU. Diese Angriffe auf die Konkurrenz werden allerdings auf Twitter teilweise als Ablenkung von der eigenen Inhaltlosigkeit kommentiert.

September: “Irren ist sozialdemokratisch”

(CDU/CSU: 19%-22%, SPD: 25%-26%)

Am 11. September sagt Armin Laschet auf dem CSU-Parteitag, die SPD habe in allen Entscheidungen der Nachkriegsgeschichte auf der falschen Seite gestanden. Die Empörung ist groß in SPD und Öffentlichkeit. Als populäre Gegenbeispiele werden in den sozialen Medien die Ostpolitik Willy Brandts und sein Kniefall angeführt. Die CDU bezeichnete Brandt damals als Volksverräter. Auch die Standhaftigkeit von Helmut Schmidt gegen den Terrorismus der Rote-Armee-Fraktion (RAF) wird angeführt. Ein anderes Beispiel aus den Kommentaren ist die Ablehnung der Beteiligung am Irakkrieg durch Kanzler Gerhard Schröder.

Einige Stunden später rudert die CDU zurück. CDU-Generalsekretär Ziemiak bezeichnet das Zitat als verkürzt und aus dem Zusammenhang gerissen. Es wäre nur um die Wirtschafts- und Finanzpolitik gegangen.

12.-14. September: #Razzia und #CDUgate

Auch am Tag nach der Rede auf dem CSU-Parteitag geht es im zweiten TV-Triell bei ARD und ZDF hoch her. So skandalisiert Laschet eine Durchsuchung im Finanzministerium. Dabei ging es bei der Durchsuchung weder um Mitarbeiter des Finanzministeriums noch um Scholz, sondern um die Ermittlung von Mitarbeitern der Einheit zur Bekämpfung von Geldwäsche, die Finance Intelligence Unit (FIU). Über diese hat Scholz nicht die Fachaufsicht, wie von Laschet im Triell behauptet, sondern nur die Rechtsaufsicht. Insgesamt stellen Fakten-Checks viele der Behauptungen Laschets im zweiten Triell als nicht korrekt heraus.4

Ähnlich äußert sich der Twitter-Account der CDU-Bundespartei am 14. September auf eine Bemerkung von Olaf Scholz in der Sendung “Klartext”. Scholz sagte dort, er wisse bei der großen Menge an Tweets gar nicht genau, was sein Staatssekretär Wolfgang Schmidt so twittere. Die CDU macht daraus ein angebliches Zitat von Scholz: “Ich kann kaum noch nachvollziehen, was mein Staatssekretär @W_Schmidt macht.” Gefolgt von “Aha. #Razzia”. Nach vielen negativen Reaktionen, inklusive des Vorwurfs der Desinformation von zahlreichen Kommentatoren, nimmt die CDU diese Aussage wieder zurück – sie hätten nicht “korrekt zitiert”.

Zur gleichen Zeit beginnt der Hastag #CDUgate zu trenden. In Anlehnung an den “Watergate-Skandal” von Nixon wird in den Sozialen Medien gemutmaßt, die Durchsuchung im Finanzministerium war eine politische Aktion der CDU. Belege dafür: einige Unstimmigkeiten im Verfahrensablauf, und alle Hauptakteure kommen aus der CDU. Unter #CDUgate mutmaßen viele Twitter-Nutzer, ob der Union die Razzia wirklich geholfen habe. Möglicherweise hat sie sie auch Wählerstimmen gekostet.

Eine Woche vor der Wahl: Alles Linksrutsch oder was?

(CDU/CSU: 21-22%, SPD: 25-26%)

Eine Woche vor der Wahl kann Armin Laschet laut Umfragen nur noch in einer Jamaika-Koalition Kanzler werden, also in einer Koalition mit FDP und Grünen. Der FOCUS kolportiert einen “Geheimplan” der Union, die Grünen in eine solche Koalition mit dem Angebot einer grünen Bundespräsidentin zu locken.5 Dabei wird die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt schon Ende des letzten Jahres als mögliche Bundespräsidentin einer damals noch aussichtsreichen schwarz-grünen Koalition gehandelt.

Gleichzeitig warnt die Union davor, die FDP zu wählen. Eine Stimme für die FDP sei eine Stimme für einen “Linksrutsch”, so der rheinland-pfälzische CDU-Generalsekretär Jan Zimmer. Auch eine mögliche Ampel-Koalition wird jetzt zum Ziel der “Rote-Socken-Kampagne”. Die CDU fordert sogar die FDP dazu auf, eine Ampelkoalition auszuschließen. Christian Lindner weist dies entschieden zurück und betont die Eigenständigkeit der FDP.6

Fazit

Die sinkenden Umfragewerte stacheln die CDU anscheinend richtig an im Wahlkampf. Sie teilt mittlerweile gegen praktisch alle anderen Parteien aus. Das Ziel ist, mögliche Koalitionen ohne die CDU als Kanzlerpartei zu verhindern. Selbst bei Wahlabsicht für die FDP spricht sie von einem Linksruck. Neben der Desinformation rund um die möglicherweise gezielte Durchsuchung im Finanzministerium geht es vor allem um Farbenspiele. Inhalte scheinen keine große Rolle mehr zu spielen.

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