Ampel, Jamaika, GroKo? Die Koalitionsverhandlungen auf Twitter
Der Bundestag wurde gewählt. Doch wie die nächste Bundesregierung zusammengesetzt sein wird, ist noch unklar. GroKo, Ampel, Jamaika? Auch auf Twitter wird die Frage heiß debattiert. Die Parteien und Kandidierende verkünden ihre Präferenzen, die Wähler:innen kommentieren, liken und teilen. Wann welche Form der Koalition besonders im Mittelpunkt der deutschen Twitter-Debatte stand, welche Beiträge auf besonders viel Resonanz stießen und wie Olaf Scholz, Annalena Baerbock, Christian Lindner und Armin Laschet sich auf Twitter äußerten ist das Thema dieses Beitrages.
Von Shanti Walde (@shanti_walde), European New School of Digital Studies
In den ersten zwei Wochen nach der Wahl1, beteiligten sich 57.380 deutschsprachige Twitter-Nutzer:innen an der Debatte rund um die zukünftige Zusammensetzung der Regierungskoalition. Insgesamt wurden dabei 205.940 Beiträgen verfasst oder geteilt.2
Mit 107.160 Beiträgen von 40.790 Nutzer:innen wurde die Ampel am häufigsten auf Twitter erwähnt. Jamaika steht mit 77.800 Beiträgen von 32.850 Nutzer:innen knapp dahinter. Es folgt die GroKo mit nur 20.980 Beiträgen von insgesamt 12.720 Nutzer:innen.
Spannend ist die sehr unterschiedliche Entwicklung der Nennungen im Laufe der Zeit. Wurde die GroKo am Wahltag noch 6.949 Mal erwähnt, so stürzten die Nennungen in den zwei darauffolgenden Tagen rasch ab. Die GroKo wurde am 12. Oktober nur noch acht Mal erwähnt. Interessant ist dabei, dass es in kaum einem Tweet um die GroKo als solche ging. Sie wurde meist im Zusammenhang mit den anderen möglichen Koalitionen erwähnt - meist mit ablehnendem Ton.
Der Tweet der Rechtsanwältin Miriam Vollmer veranschaulicht dies. Betrachtet man ausschließlich die Tweets, in denen die GroKo erwähnt wurde, erreichte dieser bei weitem die meisten Nutzer:innen (233.474).3
Ampel oder Neuwahlen. Denn Jamaica mit einer zweitplatzierten Union bekommen die Grünen nicht durch ihre Gremien. Eine GroKo mit Scholz als Kanzler macht die CDU nicht mit. Eine GroKo mit Laschet macht die SPD nicht, wenn sie besser abgeschnitten hat. Mehr Optionen gibt es nicht.
— Miriam Vollmer (@miriam_vollmer) September 26, 2021
Direkt nach Bekanntmachung der ersten Wahlhochrechnungen wurden sowohl Jamaika als auch die Ampel medial und politisch als realistische Optionen dargestellt. Der sprunghafte Anstieg der Twitter-Nennungen spiegelt dies wider. Waren es am 26. September bei Jamaika noch 9.420 und bei der Ampel 6.170 Nennungen, so stiegen die Zahlen am 27. September auf 20.654 bei Jamaika und 16.184 bei der Ampel an.
Ein Aspekt stach an diesem Tag besonders hervor. Am 27. September titelte das Satire-Portal der Postillon: „Jamaika ändert Landesflagge, um nicht mit Koalition in Verbindung gebracht zu werden“. Der Artikel wurde noch am selben Tag 352 Mal auf Twitter geteilt und erreichte mit einem Reach von 199.235 ein ähnlich breites Publikum wie der Link von Miriam Vollmer.
Jamaika ändert Landesflagge, um nicht mit Koalition in Verbindung gebracht zu werden #jamaikahttps://t.co/Fx3nyt8lEc
— Der Postillon (@Der_Postillon) September 27, 2021
Während die Parteien hinter verschlossenen Türen anfingen, sich zu beraten und die mediale Aufmerksamkeit etwas abnahm, wurde auch auf Twitter weniger über die drei möglichen Koalitionsformen debattiert.
Dies änderte sich am 06. Oktober, als zuerst die Grünen4 und dann die FDP5 in separaten Presseerklärungen verkündeten, die Sondierungsverhandlungen mit der SPD vertiefen zu wollen. Noch am selben Tag stieg die Anzahl der Beiträge, in denen die Ampel erwähnt wurde, von 2.361 auf 13.190.
Im Rahmen der Pressemeldung erwähnte der Grüne Bundesvorsitzende Robert Habeck, dass „Der Keks lange noch nicht gegessen ist“ und eine Jamaika-Koalition mit der Union noch nicht gänzlich auszuschließen sei. 6 Allerdings fand diese Aussage kaum Resonanz auf Twitter. Waren es am 27. September noch 20.000 Nennungen, so kamen am 06. Oktober nur 7.641 Beiträge zusammen, knapp zwei Drittel weniger. Die GroKo spielte an diesem Punkt mit Ihren 719 Erwähnungen kaum noch eine Rolle.
Wirft man einen Blick auf die Beiträge, in denen es um die Jamaika-Koalition ging, lässt sich vor allem Enttäuschung bei der Union erkennen. Die folgenden zwei Tweets vom 06.10., jeweils vom Bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef Markus Söder und vom CDU Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Peter Altmaier, veranschaulichen dies. Diese zwei Tweets hatten an dem Tag zu diesem Thema die größte Reichweite. Söder erreichte mit seinem Beitrag knapp 3.540.400 Twitter-Nutzer:innen, während Peter Altmaiers Beitrag bei rund 2.082.900 Menschen im Feed erschien. Dies spiegelt sich auch in der hohen Anzahl an Kommentaren wider (2490 Kommentare für Markus Söder, und 1419 für Peter Altmaier).
Eine gemeinsame Jamaika-Sondierung mit FDP und Grünen wäre fair gewesen. Aber die beiden haben sich entschieden, ohne die Union die Ampel zu sondieren. Wir bedauern, aber respektieren diese Entscheidung. Jamaika wäre eine Chance zur Modernisierung des Landes gewesen.
— Markus Söder (@Markus_Soeder) October 6, 2021
Soeben hat der Ampel-Zug den Bahnhof verlassen. Zum 1. Mal seit 41 J (Schmidt/Genscher) sprechen FDP & SPD (und Grüne) ernsthaft über eine Koalition. CDU/CSU sind Beobachter. Wir müssen jetzt unsere Hausaufgaben machen und zeigen, dass wir die Lektion vom 26.9. verstanden haben.
— Peter Altmaier (@peteraltmaier) October 6, 2021
Seit dem 11. Oktober laufen die vertieften Sondierungsgespräche zwischen SPD, FDP und Grünen. Bis Freitag, dem 15. September wollen sie eine gemeinsame Verhandlungs-Grundlage erarbeiten. GroKo und Jamaika sind mittlerweile in Vergessenheit geraten. Das zeigen auch die Zahlen. Am 12. Oktober wurde die GroKo 379 Mal, die Jamaika-Koalition sogar nur noch 395 Mal erwähnt. Die Ampel stieg erneut auf 6.911 Nennungen.
Am zweiten Tag der Gespräche traten der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, der Bundesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen Michael Kellner und der Generalsekretär der FDP, Volker Wissing gemeinsam vor die Kameras. Konkrete Inhalte sickerten dabei kaum durch. Dies zeigt sich im Twitter-Diskurs des 12. Oktobers.
Im Zusammenhang mit den Koalitionsverhandlungen dominiert an diesem Tag keine inhaltliche Debatte rund um die möglichen Streitpunkte der Koalition, man denke an Finanzpolitik oder Klimaschutz. Das Thema Cannabis dominierte den Twitter-Diskurs rund um die Zusammensetzung der künftigen Koalition.
Die fünf Tweets zum Thema Koalition, die am 12. Oktober die meisten Menschen erreichten, befassten sich alle mit der Legalisierung von Cannabis. FDP und Grünen befürworten dies, die SPD ist für eine „regulierte Abgabe“ in Modellprojekten.
Wieso aber die plötzliche Aufmerksamkeit auf Twitter? Am 12. Oktober hatten die Polizeigewerkschaften die Ampel-Parteien vor einer Legalisierung von Cannabis und der damit einhergehenden gesundheitlichen und gesellschaftlichen Folgen gewarnt.7 Dies erweckte großes Interesse und zumeist Ablehnung auf Twitter.
Bei weitem die meisten Menschen erreichte dabei der Tweet von ZDF-heute, in dem die Meldung ohne weitere Kommentierung geteilt wurde. Der Tweet erreichte fast 1 Mio. Menschen.
Cannabis-Legalisierung: Polizeigewerkschaften warnen Ampel-Parteien https://t.co/qnEoaQDLcj
— ZDFheute (@ZDFheute) October 12, 2021
Der Tweet des EU-Abgeordneten Nico Semsrott, in dem er zynisch den Vorstoß zur Legalisierung von Cannabis kommentiert, ist ebenso nennenswert. Mit einem Reach von rund 370.000 liegt dieser Beitrag zwar deutlich hinter der Reichweite des ZDF-heute-Tweets, doch bekam sein Beitrag mit 11.685 Likes ein überdurchschnittliches Maß an Zustimmung.
Ich würde die Legalisierung von Cannabis - wenn sie denn käme - als Entgegenkommen der "Ampel"-Koalition gegenüber der Jugend werten:
— Nico Semsrott (@nicosemsrott) October 12, 2021
"Wir ändern zwar nichts an euren miesen Zukunftsaussichten, aber ihr müsst das alles wenigstens nicht mehr bewusst erleben!"
Ist doch nett.
Dieses Thema nahm auf Twitter so schnell an Fahrt auf, dass der Hashtag #Legalisierung am 13. Oktober 29.500 Mal im deutschen Twitter benutzt und zu einem der Top 5 deutschen Twitter-Trends des Tages wurde.
Und was sagen die Spitzenkandidat:innen?
Jenseits des generellen Twitter-Diskurses haben wir gefragt ob, mit welcher Wortwahl und wie oft sich Olaf Scholz, Annalena Baerbock, Christian Lindner und Armin Laschet zu den möglichen Koalitionen auf Twitter äußerten.
Christian Lindner
Christian Lindner hielt sich sehr zurück. Am 30.09. verlinkte er das ARD-Interview mit dem ersten parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion Marco Buschmann. Konkret ging es darin um die Art und Weise, wie Koalitionsverhandlungen durchgeführt werden sollten. Auf die Inhalte ging Lindner nicht ein.
So muss man es machen, denken wir. CL https://t.co/vjeslZ5aa4
— Christian Lindner (@c_lindner) September 30, 2021
Erst am 06.10., als die Weiterführung der Sondierungsverhandlungen öffentlich verkündet wurde, ergriff der FDP-Vorsitzende das Wort auf Twitter. In einem siebenteiligen Thread analysierte er die aktuelle Situation und betonte das Interesse der FDP an weiteren Sondierungsgesprächen mit Grünen und SPD.
Die Grünen haben den Vorschlag gemacht, gemeinsam ein erstes Sondierungsgespräch mit der SPD zu führen. Die Grünen haben unterstrichen, dass für sie Jamaika eine Option bleibt. Das gilt auch für uns. (6/7)
— Christian Lindner (@c_lindner) October 6, 2021
Annalena Baerbock
Noch zurückhaltender verhielt sich die Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Sie verfasste keine eigenen Tweets und beschränkte sich darauf, zwei Threads des Grünen Partei-Accounts (@Die_Gruenen) zu teilen.
Im ersten Beitrag vom 01. Oktober ging es um die Gespräche mit der FDP, bei denen „Gemeinsamkeiten ausgelotet“ wurden.
Nach der #btw21 ist unser Ziel nun, zügig eine Regierung zu bilden, die einen Aufbruch schaffen kann und den großen Herausforderungen der Realität gerecht wird. Heute haben wir erneut mit der FDP gesprochen und Gemeinsamkeiten ausgelotet. pic.twitter.com/vkXUT4cOvM
— BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (@Die_Gruenen) October 1, 2021
Der zweite Beitrag (ein siebenteiliger Thread) stammt, wie bei Christian Lindner, vom 06. Oktober und betont die Bereitschaft der Grünen sich auf Dreiergespräche mit FDP und SPD einzulassen.
Das Land steht vor großen, drängenden Herausforderungen. Um ihnen zu begegnen, braucht es eine stabile Regierung, die die nötigen Antworten gibt und mit einer gemeinsamen Idee die Zukunft prägen kann und will. Darum geht es, und dieser Aufgabe stellen wir uns verantwortungsvoll. pic.twitter.com/pve67Ig5Jr
— BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (@Die_Gruenen) October 6, 2021
Olaf Scholz
Etwas mitteilungsfreudiger war SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der sich in drei Beiträgen zu dem Thema äußerte.
Der erste Beitrag stammt vom 27. September. Bereits am Tag nach der Wahl drückte er seinen Optimismus darüber aus, dass die Koalitionsbildung mit „Pragmatismus und Kooperationsbereitschaft“ gelingen würde. Dabei verlinkte er seinen Auftritt in der Tagesschau.
Ich bin optimistisch: Mit Pragmatismus und Kooperationsbereitschaft wird die Koalitionsbildung gelingen! #btw21 https://t.co/3VT8lRNfGI
— Olaf Scholz (@OlafScholz) September 28, 2021
Ähnlich wie Annalena Baerbock äußert auch Scholz sich am 01. Oktober. Dabei erwähnte er die SPD, Grünen und FDP und betonte, dass „die Idee des Fortschritts in der Gesellschaft“ die drei verbinde und eine gute Grundlage für die Verhandlungen sei. Auch hier verlinkte er seinen Medienauftritt, diesmal in Form eines Spiegel-Interviews.
.@spdde, @Die_Gruenen & @fdp verbindet die Idee des Fortschritts in der Gesellschaft, eine gute Grundlage für Verhandlungen. Das Ziel: Gemeinsam etwas erreichen – dafür müssen wir uns aufeinander einlassen, denn nur so entsteht echte Zuneigung.
— Olaf Scholz (@OlafScholz) October 1, 2021
Mein Interview mit @derspiegel:? https://t.co/l3XHEYyis3
Der dritte Tweet stammt wie bei allen anderen vom 06. Oktober. Auch Scholz äußerte sich bezüglich der Bereitschaft der SPD, mit FDP und Grünen in vertiefte Sondierungsgespräche einzusteigen.
Wir freuen uns, dass es morgen ein erstes gemeinsames Gespräch zwischen den drei Parteien gibt. Nach konstruktiven bilateralen Gesprächen geht es jetzt weiter. Das ist gut so. pic.twitter.com/7KZUmhQFcz
— Olaf Scholz (@OlafScholz) October 6, 2021
Armin Laschet
Armin Laschet äußerte sich auf Twitter schlicht weg überhaupt nicht zum Thema Koalitionen.
Fazit
Der Twitter-Diskurs spiegelte die politischen Entwicklungen wider. Die GroKo wurde zwar kurz erwähnt, aber schnell auch wieder bei Seite gestellt. Jamaika und die Ampel genossen zwar anfänglich ein ähnliches Maß an Aufmerksamkeit, aber bald dominierte die Ampel den Twitter-Diskurs. Die Spitzenkandidat:innen äußerten sich zum Thema Koalition bislang kaum. Scholz twitterte am meisten, gefolgt von Christian Lindner. Annalena Baerbock begrenzte sich auf das Teilen von Tweets. Armin Laschet äußerte sich schlicht weg gar nicht.
Erhebungszeitraum: 26.09. - 12.10.2021↩︎
Für die Suche auf Twitter wurden folgende Wörter benutzt: „Ampel“, „Ampelkoalition“, „GroKo“, „Großekoalition“, „Jamaika“ und „Jamaikakoalition“.↩︎
Die Brandwatch-Metrik „Reach“ verweist auf die Gesamtanzahl der Menschen, die einen bestimmten Tweet gesehen haben.↩︎
https://www.tagesschau.de/inland/gruene-sondierungen-101.html.↩︎
https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/sondierungen-ampel-101.html.↩︎
https://www.deutschlandfunk.de/sondierungen-polizeigewerkschaften-warnen-ampel-parteien.1939.de.html?drn:news_id=1310813.↩︎
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