Die erfolglosesten Parteien-Posts im Bundestagswahlkampf – und warum Likes überschätzt werden.
Wahlkämpfe sind immer persuasive Kommunikation – ihr Ziel ist es zu überzeugen, Unterstützung zu mobilisieren, manchmal aber auch nur, die politischen Gegner zu schwächen („asymmetrische Demobilisierung“). Parteien und Kandidierende legen es daher darauf an, ihre Botschaften möglichst weit zu verbreiten, an die richtigen Zielgruppen zu bringen und, gerade auf Social Media, viele Interaktionen auszulösen. In dieser Lesart signalisieren Likes, Kommentare und Shares Popularität, Sichtbarkeit, Erfolg.
Von Team ENS (@ZahlenZurWahl), European New School of Digital Studies
Misst man den Erfolg von Kampagnen mit den Social-Media-Metriken, schwimmt die AfD seit Jahren auf einer Erfolgswelle – wie die meisten rechtspopulistischen Parteien in Europa. Sie hat klar die meisten „Freunde“, eine sehr aktive Community, die viel klickt und kommentiert.
Aber selbst für die AfD gibt es Tage und Posts, für die kaum jemand ein Like oder einen Kommentar übrig hat. Interaktionen sind äußerst volatil – manche Posts zünden, andere nicht. Dies zeigt die Zahl der Interaktionen auf Facebook – die Summer der Reaktionen (Like, Love, Wow, Haha, Angry, Sad), Shares und Kommentare im Zeitverlauf seit dem 1. August 2021.
Die Kommunikationswissenschaft befasst sich schon länger mit der Frage, was ein „Like“ eigentlich bedeutet und worauf solche Popularitätssignale eigentlich verweisen.1 Die Vorstellung, dass quantifizierbare soziale Indikatoren eine einfache Möglichkeit zur Bewertung der Popularität darstellen, ist verlockend. Leider ist dies auch ein Missverständnis, denn erstens sind sie sehr leicht zu manipulieren und zweitens bedeuten sie je nach Kontext und Plattform etwas anderes.
Die Zahlen der Reaktionen, Shares, Follower oder Kommentare sind ein sehr niedrigschwelliges Feedback, das Anerkennung, Reichweite, Engagement oder Interaktion signalisieren kann. Dieses Feedback ist aber nicht unbedingt immer positiv. Viele Likes, können Popularität bedeuten, aber auch auf Widerspruch, Empörung hinweisen, zeigen dass etwas oder jemand unpopulär oder höchst umstritten ist. Eine „Haha“- Reaktion auf Facebook kann Sympathie ausdrücken, aber auch Ironie, Sarkasmus oder Schadenfreude. Tatsächlich lösen gerade kontroverse Inhalte und negative Emotionen häufig besonders viele Interaktionen aus.
Schließlich übersetzen sich Likes nicht in Wahlstimmen – es ist ja nicht einmal klar, ob die Facebook-Fans einer Partei überhaupt wahlberechtigt wären. Die „erfolgreichsten“ Parteien auf Facebook sind fast nie die Parteien, die Wahlen gewinnen. Umso erstaunlicher ist es zu sehen, dass auch demokratische Parteien zunehmend auf populistische Rhetorik und Negative Campaigning setzen.2 Beides bringt ihnen zwar mehr Interaktionen auf Facebook – aber weder mehr Stimmen noch leisten sie damit einen Beitrag zur Qualität des öffentlichen Diskurses.
Würdigen wir hier nun die Facebook-Posts der Parteien, die im Bundestagswahlkampf am wenigsten Reaktionen, Shares und Kommentare bekamen. Wie auch schon in unserem Beitrag zu den erfolgreichsten Posts fehlt hier die SPD – die wir wegen des Geoblockings ihrer Facebook-Seite nicht mittels Crowdtangle auswerten können.
Platz 1: CSU, 371 Interaktionen
Platz 2: FDP, 435 Interaktionen
Platz 3: DIE LINKE, 541 Interaktionen
Platz 4: CDU, 673 Interaktionen
Platz 5: GRÜNE, 1166 Interaktionen
Platz 6: AfD, 4558 Interaktionen
Schauen wir auf die „Underperforming“-Werte – also die Posts, die mit vergleichbaren Posts derselben Partei unterdurchschnittlich abgeschnitten haben – finden sich viele Posts zu regionalen Veranstaltungen, diverse TV-Tipps („Alexander Dobrindt, Unter den Linden Spezial bei Phoenix“), aber auch der Aufruf der AfD, eine Podcast-App zu installieren („Auf digitalem Erfolgskurs“):
Interaktionen sind eine wichtige Währung in sozialen Netzwerken – nicht zuletzt, weil die Algorithmen der Plattformen auch auf dieser Basis entscheiden, welche Inhalte als relevant gelten und mehr Usern angezeigt werden. Was also einmal viele Interaktionen auslöst, hat bessere Chancen, mehr Leute zu erreichen, die dann weitere Reaktionen, Shares und Kommentare beitragen können. Viele Klicks führen so in einer selbstverstärkenden Dynamik zu noch mehr Sichtbarkeit. Doch nicht alles davon bedeutet Zustimmung und Popularität, geschweige denn Übertragbarkeit in Wählerstimmen.
Z.B. Lauren Scissors, Moira Burke, Stephen Wengrovitz, What‘s in a Like?: Attitudes and behaviors around receiving Likes on Facebook. CSCW ‚16 Proceedings of the 19th ACM Conference on Computer- Supported Cooperative Work & Social Computing (2016), https://dl.acm.org/citation.cfm?id=2820066 ; Pablo Porten-Cheé, Jörg Haßler, Pablo Jost, Christiane Eilders, Marcus Maurer, Popularity cues in online media: Theoretical and methodological perspectives. Studies in Communication and Media 7 (2018) 2, 208–230.↩︎
https://preprints.apsanet.org/engage/apsa/article-details/614cc6b5d9c956307ade1bf↩︎
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